MJ-Gerüst im Interview

"Stillstehen gibt es für uns nicht"

Über die Branche, die bauma und die Zukunft des Gerüstbaus

Jörg Frommann und Tobias Barnewitz (v.l.)

Der Bauboom der vergangenen Jahre hat auch den Gerüstherstellern volle Auftragsbücher beschert. Trotz knapper werdender Ressourcen und explodierender Energiepreise hielt dieser Trend lange an. Doch nicht nur bei Neubauten sind moderne Gerüstsysteme gefragt. So wandelt sich der Bau- zum Modernisierungsboom – Bauexperten sehen dies als Reaktionen auf die Zinswende und steigende Energiekosten.
Wie der Hersteller MJ-Gerüst aus Plettenberg die aktuelle Lage auf dem Baumarkt einschätzt und welche Prognosen daraus für die Zukunft des Plettenberger Familienbetriebs abzuleiten sind, beantworten Geschäftsführer Jörg Frommann und Vertriebsleiter Tobias Barnewitz im Interview.

Erst Corona, dann die Ukraine-Krise. Wie ist MJ-Gerüst durch die vergangenen zwei Jahre gekommen und was erwarten Sie für die Zukunft?

JF: Nach einer anfänglichen kurzen Phase der Unsicherheit zeigte sich sehr schnell, dass sich der Gerüstmarkt von Corona eigentlich überhaupt nicht negativ beeinflussen lässt. Eher im Gegenteil: Es wurde gekauft, als gäbe es bald nichts mehr. Darauf haben wir reagiert. Wir halten unsere Lager sowohl beim Vormaterial als auch bei verkaufsfertigen Teilen so voll wie irgend möglich. Auf diese Weise sind wir auch in Zeiten nicht intakter Lieferketten ein gewohnt zuverlässiger Lieferant. Dabei kommt uns zugute, dass wir fast ausschließlich auf heimische, langjährige Lieferanten zurückgreifen können. Eine gute, partnerschaftliche Kunden-Lieferanten-Beziehung ist in Zeiten wie diesen besonders wichtig.
Problematischer sind für uns die extremen Teuerungsraten des vergangenen Jahres. Teilweise haben sich Rohstoffpreise mehr als verdreifacht. Hier ist eine leichte Beruhigung zu erkennen, die jedoch durch die aktuelle, in vielen Branchen existenzbedrohende Situation am Energiemarkt mehr als wieder zunichte gemacht wird. Da bleibt es auch in den nächsten Monaten ganz sicher spannend.

TB:
Gerade durch die aktuellen Geschehnisse zeigt sich einmal mehr, wie wichtig der Produktionsstandort Deutschland ist. Dadurch konnten wir während der letzten 2 Jahre sehr flexibel unsere Fertigung planen und auf Bedarfsschwankungen gut reagieren, denn ein zeitweise verhaltenes Kaufverhalten war am Anfang der Pandemie zu spüren, erholte sich aber schnell. Dadurch konnten wir gewährleisten, dass die gewohnte Lieferfähigkeit aus Plettenberg nicht gefährdet wurde und sich Kunden auf uns verlassen konnten.

GERÜSTSYSTEME MADE IN PLETTENBERG sind in den vergangenen Jahren mehr und mehr zum Aushängeschild des Unternehmens geworden. Welchen Stellenwert hat die heimische Produktion für Ihr Unternehmen?

JF: Der Slogan „Made in Plettenberg“ trifft unsere Firmenphilosophie wirklich am besten. Wir sind in Plettenberg entstanden, in Plettenberg gewachsen und immer in Plettenberg geblieben. Und das soll auch in Zukunft so bleiben. Nur so können Sie auf einen erfahrenen und zuverlässigen, größtenteils selbst ausgebildeten Mitarbeiterstamm zurückgreifen, das erforderliche Fachwissen in der eigenen Region weiterentwickeln und von einer mitgewachsenen regionalen Lieferantenstruktur profitieren. Gemeinsam erfolgreich – zuverlässig und berechenbar – hohe Produktqualität: das schaffen Sie nicht, wenn Sie sich auf die weltweit günstigsten Produktionsstandorte stürzen.

Mit 5 eigenen Gerüstsystemen im Portfolio bedient MJ-Gerüst einen sehr großen Markt. Diese große Palette ist unter Gerüstherstellern einzigartig. Welche besonderen Herausforderungen stellt das an die eigene Produktion, die Logistik und den Vertrieb?

JF: Neben einer guten EDV brauchen Sie eigentlich nur eine ausreichend große Produktionskapazität und ganz, ganz viel Platz …
 Übrigens: 5 Gerüstsysteme ist untertrieben: Jedes System gibt es in mindestens zwei Breiten, teils in Aluminium, modulare Systeme zudem in metrischen und 07-er Längen. Jedes davon wird beim DIBt als eigenständiges Gerüstsystem geführt, mit eigener bauaufsichtlicher Zulassung, die gepflegt und aktualisiert werden will. Auch das ist eine Herausforderung.

TB:
Die Artikelvielfalt und dadurch entstehende Lagerkosten sind die größte Hürde, denn man muss natürlich „immer das Richtige“ gerade auf Lager haben. Dies ist bei 5 Systemen deutlich schwerer zu planen. Der große Vorteil liegt jedoch darin, dass wir so gut wie jeden Gerüstbauer ansprechen können, wodurch wir einen guten Input vom Gesamtmarkt erhalten. Ein großer Vorteil von 5 Systemen ist, dass wir Innovationen (z.B. unsere Optiline-Produktlinien) gut auf unsere weiteren Systeme adaptieren können und jedem Anwender direkt ein verbessertes oder neues Produkt, zugeschnitten auf sein System zur Verfügung stellen.

Welche Neuheiten MADE IN PLETTENBERG können MJ-Kunden zur bauma 2022 erwarten?

TB: Mit der Einführung der neuen TRBS haben wir schon zur Bauma 2019 unser System MJ Optima auf den Markt gebracht. Deshalb steht dieses System auch 2022 klar im Messefokus. Auch unsere MJ Optiboards, die optimalen Baustellenschutz bieten, dürfen gerne auf dem MJ-Messestand bestaunt werden.
Neben den mittlerweile schon zum Standard gewordenen regelmäßigen Optiline-Optimierungen unserer Produkte, wo der Fokus auf Gewichtsreduzierung bei gleichbleibender Leistung liegt, hat unser Team einige Neuheiten entwickelt, die bereits von MJ vertrieben werden, beziehungsweise jetzt neu auf den Markt gebracht werden. Beispielsweise der „Lagerfuß“, der für jeden Gerüstanwender zu gebrauchen ist oder unseren „100er-Gitterträger“, um extreme Spannweiten zu überbrücken.
Machen Sie sich gerne selbst ein Bild und besuchen Sie uns auf unserem Stand. Sie sind herzlich eingeladen.

Mit MJ OPTIMA hat MJ-Gerüst das erste komplett in Eigenregie entwickelte Gerüstsystem auf den Markt gebracht. Ansporn dafür war die Neuregelung der TRBS 2121 im Januar 2019. Wie hat sich das System im Markt etabliert?

JF: Richtig, unser OPTIMA ist kein Gerüstsystem, das wir uns proaktiv herbeigesehnt haben, sondern es ist unsere Antwort auf die immer strenger werdenden Regeln zum Arbeitsschutz.
Gemeinsam mit einigen innovativen Kunden entwickelt, ist OPTIMA auf der BAUMA 2019 eigentlich als Versuchsballon der Öffentlichkeit vorgestellt worden. Es ging uns vornehmlich darum, mit Anwendern über Sinn und Unsinn solcher aufgelösten Systeme zu diskutieren, um daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen. Dass dann alles ganz anders kam, hat uns positiv überrascht. Mittlerweile verwenden sogar Gerüstbauer unser OPTIMA in großer Menge, die wir vorher gar nicht kannten. Teils unter höchsten Anforderungen, die so mancher Skeptiker einem Stielsystem gar nicht zugetraut hätte.

TB: Mit über 300.000 deutschlandweit verkauften Stielen beantwortet sich die Frage von allein. Fast täglich dürfen wir unser MJ OPTIMA in unserem Ausstellungsraum Neuinteressenten vorführen oder Interessenten bei Musterbaustellen begleiten, um ihnen unser System in der Praxis zu zeigen. Hierzu darf sich jeder Interessent gerne melden.

Ist die Entwicklung von MJ OPTIMA beendet oder sind weitere System-Erweiterungen geplant?

JF: Eine Entwicklung ist doch eigentlich nie beendet, oder? Selbst unsere Rahmengerüste, die wir seit teilweise mehr als 50 Jahren produzieren, entwickeln sich laufend weiter, werden leichter, passen sich an neue Aufgaben an, wie zum Beispiel neue Fassadentechniken, Photovoltaik und ähnliches. Beim OPTIMA sind die Kernelemente der stabile Ständerstoß mittig zwischen den Belagebenen sowie die Kompatibilität zu vorhandenen Gerüstsystemen. Damit ist erstmal jedem Gerüstanwender die Möglichkeit gegeben, OPTIMA mal zu probieren oder aber gar mit verhältnismäßig geringem Aufwand auf OPTIMA umzustellen. Und durch den etablierten Modulknoten gibt es quasi schon heute unzählige Bauteile und Kombinationsmöglichkeiten für die OPTIMA-Verwendung. Daneben wird der OPTIMA-Baukasten natürlich nahezu wöchentlich immer größer und immer spezieller. Und das wird auch so bleiben. Ziel ist es, unter Beibehaltung der vorhandenen Kompatibilität, und damit Investitionssicherheit für den Kunden, für jede Anwendung eine optimierte und gleichzeitig den neuesten Arbeitsschutzvorschriften entsprechende Lösung anbieten zu können.

TB: Was kann man schon als beendet bezeichnen? Vielmehr liegt unser Ansatz in weiteren Verbesserungen. Durch die starke Marktakzeptanz sind wir froh, dass unsere Anwender schon Ideen zu Produkten geliefert haben, um das System noch flexibler und schneller zu machen.

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Immer größer und immer komplexer werden Bauvorhaben. Wie unterstützt der Hersteller MJ-Gerüst seine Kunden bei der Planung von neuen Projekten?

TB: Mit unserem stets wachsenden Technikteam begleiten wir Kunden weltweit bei Ihren Projekten, liefern Aufbauideen oder besprechen oft gemeinsam mit dem Kunden vorab schon eventuell anstehende Probleme. Durch diese Planungen ergeben sich neben massiven Logistik- oft auch Materialeinsparungen, da durch einen veränderten Aufbau oftmals Material eingespart werden konnte.

Gibt es weitere Expansionspläne?

JF: Klar, Stillstehen gibt es für uns nicht, auf steigende Nachfrage werden wir immer entsprechend reagieren. Aktuell zeichnet sich ab, dass wir bei der Produktion von Gerüstböden bald an unsere Kapazitätsgrenzen stoßen. Hier ist bereits eine weitere, voll automatisierte Linie im Bau. Auch die Verzinkungskapazitäten sind in unserer Region immer ein Thema. Mittlerweile fahren wir mit unseren ständig steigenden Mengen von Plettenberg aus durch halb Deutschland, um sie verzinken zu lassen. Wir haben uns daher dazu entschieden, direkt am Standort unseres Schweißwerkes eine eigene Verzinkerei zu errichten, die einen großen Teil unseres Bedarfes abdecken kann und die uns zudem logistische Vorteile bietet. Entsprechende Flächen konnten wir uns bereits großzügig sichern. Bei all dem sollten wir aber die aktuelle politische Lage im Auge behalten. Explodierende Baukosten, steigende Zinsen und Energieknappheit werden zumindest kurzfristig wohl nicht zu einer weiteren Belebung unseres Absatzmarktes führen.

Vor einigen Jahren galt MJ als reiner Nachbauer etablierter Gerüstsysteme. Das hat sich maßgeblich geändert. Woran liegt das?

JF: Nachbauer klingt so negativ, und eigentlich stimmt das auch gar nicht! Eher im Gegenteil: Früher waren wir noch mehr das Original als heute. In unseren Anfängen haben wir nämlich die Gerüste für damals führende deutsche Gerüsthersteller hier in Plettenberg produziert. Viele Anwender arbeiteten bereits mit unserem Material, ohne es zu wissen. Erst als diese Auftraggeber uns weggebrochen sind, haben wir unseren Schwerpunkt dahin verlagert, in eigener Regie Gerüste zu vertreiben. Auch, um die Versorgung der Gerüstkunden überhaupt sicherzustellen. Das haben wir scheinbar ganz gut gemacht, und dann hat sich das so entwickelt. Und sind wir mal ehrlich: Dieser Wettbewerbsdruck hat sowohl den betroffenen Gerüstsystemen als auch dem Preisgefüge und damit am Ende dem Kunden sehr gutgetan. Schauen Sie sich die Gerüstsysteme an, in denen es keinen Wettbewerb gibt. Die haben sich nicht weiterentwickelt und haben fast alle keine Bedeutung mehr im Markt.
Etabliert sind wir heute, weil wir nicht mehr nur Metall verkaufen, sondern den Anwendern vollwertige Systeme und Lösungen bieten, die weit über das eigentliche Gerüstmaterial als solches hinausgehen wie zum Beispiel statische Berechnungen, Baustellenplanungen, Produktschulungen und Seminare oder Materialfinanzierungen. MJ-Gerüst hat sich zu einem vollwertigen Gesamtpaket entwickelt.

TB:
In meinen Augen hat sich die Strategie „Made in Germany“ hier ausgezahlt. Kunden schätzen immer mehr die Versorgungssicherheit und Qualität aus Plettenberg. Zudem sind wir in unserem internationalen Vertriebsteam mittlerweile gut vernetzt und oftmals Ansprechpartner Nummer 1, wenn es bei dem ein oder anderen um Gerüstinvestitionen geht.

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