"Mehr Sport und viel Zeit für Malte und Matti"
Nach 37 Jahren im Unternehmen geht Andreas Traczuk in den verdienten Ruhestand
Andreas Traczuk kommt arg ins Schwitzen. Die L697 hinauf nach Affeln zieht sich, wenn man sie mit dem Fahrrad erklimmt. Auch wenn der Akku im Rahmen ihn beim Anstieg unterstützt, ganz ohne eigenes Strampeln kommt der Hobby-Radfahrer den Berg nicht hinauf. Und die Steigung ins Bergdorf ist erst die erste kleine Etappe, der Mammut-Tour, die Andreas sich vorgenommen hat.
Sein Ziel: Hooksiel oben an der Nordsee, 360 Kilometer entfernt, wo er sich mit Ehefrau Gudrun und den beiden Enkelkindern Malte und Matti ein paar schöne Tage machen will.
Doch bis dahin ist noch viel Zeit.
Zeit auch, um sich zurückzuerinnern.
Zurück an die Anfänge.
Zurück an 37 Jahre bei MJ-Gerüst in Plettenberg.
Die Ausbildung zum Industriekaufmann war der erste Schritt in die Berufswelt für den damals 15-jährigen Andreas Traczuk, der nicht aus Plettenberg, sondern aus Eiringhausen kommt! „Da lege ich Wert drauf“, fügt er gerne hinzu, wenn man ihn fragt, ob das wichtig ist.
Seine Ausbildung begann im Sommer 1972 bei der Plettenberger Eisenwaren GmbH in der Grutmecke. Gemeinsam mit der in Köbbinghausen ansässigen Gesenkschmiede Wagner produzierte die Eisenwaren GmbH unter anderem Fahrgerüste aus Stahl. Später schlossen sich diese beiden Unternehmen zur Firma Plettac zusammen und produzierten die Rahmengerüste SL70 und später SL100.
Andreas interessierte sich neben seiner kaufmännischen Ausbildung auch immer für den technischen Bereich der Firma. „Kaufmann wollte ich ja nie wirklich werden, eher etwas im technischen Bereich.“ So lag der Entschluss nahe, nach der Ausbildung in die Arbeitsvorbereitung zu wechseln. „Das hatte ich ja nicht gelernt, da musste ich mich da halt einarbeiten“, erinnert sich Andreas heute. Mit viel Fleiß und Interesse war das aber kein Problem. „Irgendwann habe ich dann die Arbeitsvorbereitung der Schweißtechnik bei Plettac geleitet und die Verladung des Materials gesteuert.“ Karrieremäßig ging es also schon bergauf für den Eiringhauser Jung.
Seine Fahrradtour nach Hooksiel führt Andreas Traczuk mittlerweile allerdings zum Glück wieder bergab. Er hat die B54 zwischen Hamm und Münster unter die Reifen genommen.
Mehr Sport machen – das ist ein festes Ziel, dass sich der 65-Jährige für seine Zeit im Ruhestand vorgenommen hat. Und DAS HIER ist Sport!
Zwar hat Andreas schon gemeinsam mit seiner Frau mehrtägige Fahrradtouren in seiner „zweiten Heimat“ Südtirol unternommen, allein auf der B54 bei Nieselregen kommt aber wenig Romantik auf. Doch die schnurgerade Strecke ist wieder gut geeignet, um in Erinnerungen zu schweifen.
Es war im September 1984, als sein Arbeitskollege Dieter Meier auf Andreas zukam und ihn fragte, ob er „nicht mal was Neues“machen wolle. Meier war ein sehr guter Verkäufer und betreute den Bereich Verkauf-Süd, zu dem Bayern und Baden-Württemberg gehörten. “Was Neues, warum nicht?”
Dieter Meier hatte gute Kontakte zu den Junior-Brüdern Gerhard und Rainer, die in ihrem Schweißbetrieb, den sie mit ihrem Bruder Heribert betrieben, in Lohnarbeit Gerüstrahmen für Plettac fertigten. Das machten sie recht gut und wollten das zukünftig in Eigenregie betreiben. Dafür musste ein schlagkräftiges Team her.
Dieter Meier war Vertriebler mit besten Kontakten, Andreas Traczuk ein Kaufmann mit technischem Background. Die Weichen für die MJ-Gerüst GmbH waren gestellt. Die Produktion startete in zunächst bescheidenen Verhältnissen in der ersten kleinen Halle an der Ziegelstraße 54.
Die B54 hat Andreas nun verlassen.
Er strampelt auf der B219 und hat auf seinem Weg an die Nordsee gerade die Landesgrenze zu Niedersachsen überquert. Der zweite Akku ist gleich leer und in „Evers Landhaus“ in Freren ist es Zeit für einen Zwischenstopp, um neue Energie aufzutanken.
Energie hatte der junge Andreas Traczuk in der Anfangszeit der MJ-Gerüst GmbH reichlich.
„Ich habe da alles gemacht“, erinnert er sich. „Ich habe beim Verladen mit angepackt, Papiere vorbereitet, nachmittags noch Rechnungen geschrieben.“
Die kaufmännische Ausbildung war dabei von Vorteil, körperliche Fitness allerdings auch: Rahmen wurden damals in den Anfangstagen noch per Hand auf den Lkw verladen, ein Knochenjob.
Auch bei der Optimierung der Fertigung tüftelte Andreas gerne mit. Hergestellt wurden an der Ziegelstraße Gerüstrahmen für Plettac und Rux. Aber auch das eigene Rahmengerüst UNI 70 setzte sich durch und wurde in großen Stückzahlen verkauft. „Nach und nach ist das Ganze immer größer geworden. Schließlich hatten wir einige Mitarbeiter mehr.“
Auch wurde auf den ersten Messen ausgestellt, um die eigenen Produkte bekannter zu machen. Wer 1986 die „Dach und Wand“ in Köln besucht hat, konnte mit etwas Glück einen ganz guten Kaffee im Wohnwagen von Ludwig Albert bekommen, der gemeinsam mit Andreas Traczuk den gut 100qm großen Stand betreute. „Die Wilhelm Albert GmbH aus Frankfurt war damals unser Partner“, erklärt Andreas. „Der Wohnwagen von denen war quasi unser Messe-Büro.“ Manch lukrativer Deal soll auf dem wackeligen Campingtisch abgeschlossen worden sein!
„Von einer Teilnahme an der bauma in München haben wir damals nur geträumt“, erinnert sich Andreas. „Aber immer, wenn wir selbst dort zu Besuch waren, haben wir uns gesagt, eines Tages werden wir auch mal hier unsere Produkte ausstellen.“
Man sagt, dass man in Bad Zwischenahn im Ammerland schon die Nordsee riechen kann, vielleicht ist das auch nur der Duft vom Schlick, der von Dangast herüberweht.
Auf seinem E-Bike hat Andreas, der mittlerweile gut 260 Kilometer zurückgelegt hat, davon allerdings noch nichts bemerkt. Zu sehr schmerzt der Hintern auf dem schmalen Fahrradsattel. Sein Ziel, die Nordsee und der verdiente Urlaub mit Ehefrau und den Enkeln, rückt immer näher. Durchhalten, Andreas, dein Sitzfleisch sollte nach den letzten Jahrzehnten am Schreibtisch doch trainiert sein!
Tatsächlich verlagerte sich Andreas‘ Arbeitsplatz Ende der 80er Jahre mehr und mehr an den Schreibtisch. Der Vertrieb der eigenen Gerüstsysteme musste ausgebaut werden – es begann mit NRW und weitete sich nach und nach auf die gesamte Bundesrepublik aus. „Nach dem Mauerfall kamen dann die ganzen Ostgebiete hinzu“, erinnert sich Andreas heute. „Da kannten wir uns ja überhaupt nicht aus und mussten zunächst Kontakte knüpfen.“ Doch das Vertriebsgebiet für MJ-Gerüste wuchs und wuchs und Andreas Traczuk pflegte nach und nach immer mehr internationale Kontakte.
Erste Gehversuche in der Schweiz starteten Anfang der 2000er Jahre. Es folgten viele Jahre, in denen Andreas regelmäßig die Schweizer Kundschaft zwischen Aargau und Tessin besuchte.
Die Berge haben Andreas nie wieder losgelassen. Neben seiner „zweiten Heimat“ Südtirol und Nord-Italien betreute er die letzten 20 Jahre seine Stammkunden in der Schweiz immer persönlich, riss unzählige Kilometer auf der Autobahn ab. Und auch während der privaten Aufenthalte im Ski-Urlaub nutzte er immer wieder passende Gelegenheiten, um mit seinen Spezis beim Tässchen Kaffee in Kontakt zu bleiben.
Das große Spezi im Biergarten des Gasthofs „Altdeutsche Diele“ in Bockhorn am Jadebusen hat sich Andreas redlich verdient. Das war die letzte Pause.
Gut 300 Kilometer hat er mittlerweile auf dem Tacho und er befindet sich gerade quasi auf der Zielgeraden. Hooksiel liegt in greifbarer Nähe!
Der Hintern ist mittlerweile taub.
Zeit für den Endspurt!
Seine berufliche Zielgerade hatte sich Andreas sicher weniger stressig vorstellt. Doch die letzten Tage forderten ihn noch einmal richtig. Vom Schreibtisch in Plettenberg aus wurden die letzten Deals getätigt, Papiere sortiert und ausgemistet. Die Abschiedstournee entlang aller alter Weggefährten in Deutschland, Luxemburg, der Schweiz und Südtirol hielt ihn ein paar Wochen auf Trab. „Es ist mir schon wichtig, dass ich mich von allen großen Kunden persönlich verabschiede“, sagt Andreas Traczuk. „Mit den Jahren hat man so viele enge Verbindungen aufgebaut, sich einfach so nicht mehr sehen zu lassen, das wäre nicht richtig.“ Doch am 15. Juli ist auch dieses stressige Kapitel in Andreas‘ Arbeitslaufbahn abgeschlossen und dann ist Zeit für die großen Pläne, auch für mehr Sport.
Die Fahrradtour nach Hooksiel gehört auf jeden Fall dazu.
Denn die hat natürlich noch gar nicht stattgefunden. Alles erfunden.
“Ist aber fest eingeplant!”
Doch anders als gerade beschrieben, lässt sich Andreas dafür dann auch fünf Tage Zeit.
„Ich bin ja nicht verrückt, das lasse ich ganz langsam angehen. Ich habe ja dann die Zeit.“